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Titel
Brennpunkt Schweiz. Die süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern und die Eidgenossenschaft 1815–1840


Autor(en)
Inauen, Josef
Reihe
Religion-Politik-Gesellschaft in der Schweiz 50
Erschienen
Fribourg 2008: Academic Press
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Marco Jorio

Der von der Französischen Revolution ausgelöste Umsturz der gesellschaftlichen und politischen Ordnung in Europa fegte nicht nur die Alte Eidgenossenschaft hinweg, sondern bescherte der Schweiz im Süden, Osten und Norden auch neue Nachbarn, einige dauerhaft, andere vorübergehend. Einzig die Westgrenze zu Frankreich blieb einigermassen stabil. Besonders einschneidend waren die Veränderungen nördlich des Rheins. Aus dem Flickenteppich von zahlreichen grösseren und kleineren Territorien (Markgrafschaft Baden, habsburgisches Vorderösterreich, Reichsstädte wie Überlingen und Lindau, Fürstbistum Konstanz u.a.), entstanden von Napoleons Gnaden zwischen 1803 und 1805 ausgehend von bereits bestehenden Reichsterritorien drei neue deutsche Staaten: Baden (ab 1806 Grossherzogtum), Württemberg und Bayern (beide ab 1806 Königreiche). Die längste gemeinsame Grenze von Basel bis zum Bodensee besass die Schweiz mit Baden, wodurch dieser süddeutsche Staat für die Eidgenossenschaft und die Grenzkantone bis zur Errichtung des deutschen Kaiserreiches 1871 von besonderer Bedeutung war. Mit den beiden Königreichen verband die Schweiz nur kurze Grenzabschnitte im Bodensee vor den Hafenstädten Friedrichshafen (Württemberg) und Lindau (Bayern). Einzig zwischen 1805 und 1814, als Vorarlberg und Tirol bayerisch waren, besass die Schweiz zu Bayern eine gemeinsame Landgrenze.

Den Beziehungen zwischen den drei süddeutschen Staaten und der Schweiz während der Restaurations- und eines Teils der Regenationszeit hat sich Josef Inauen in seiner profunden Freiburger Lizentiatsarbeit gewidmet. Die Arbeit verdient einen besonderen Respekt, da der Autor sich bereits vor 40 Jahren während seines Studiums mit der Frage befasste, aber sie erst nach jahrzehntelanger Berufstätigkeit nach seiner Pensionierung wieder aufgriff und erfolgreich zu Ende führte. Der Focus liegt auf der Diplomatiegeschichte und zwar in erster Linie aus der Sicht der drei deutschen Staaten. Bayern war dauerhaft ab 1803, Baden ab 1807 und Württemberg nur vorübergehend von 1807 bis 1818 in der Schweiz vertreten. Ein Blick in die umfangreiche Bibliographie (welche die Literaturliste einer durchschnittlichen Lizentiatsarbeit bei weitem sprengt) zeigt, dass die süddeutsche Sichtweise bis anhin kaum untersucht wurde. Es ist offensichtlich, dass die Beziehungen zur Schweiz in Deutschland nur wenig Interesse fand (findet?), während umgekehrt die Schweizer ein grösseres für die nördlichen Nachbarn hegen. Daher ist es verdienstvoll, dass sich ein Schweizer Historiker aufgemacht hat, um die Archive in Karlsruhe, Stuttgart und München gründlich zu durchforsten. Die schweizerischen Archive dagegen wurden noch kaum ausgewertet.

Die Beziehungen kannten in den Jahren 1815–1840 manche Hoch- und Tiefpunkte. Von Seiten der Schweiz bestand vor allem gegen Baden ein gewisses Misstrauen, das von 1806 bis 1808 Annexionspläne gegen die Schweiz hegte. Ende der 1820er Jahre zirkulierten in der Schweiz Gerüchte über Erweiterungsabsichten Bayerns. Nach einem sehr kurzen Übersichtskapitel über die Beziehungen in der doch wichtigen Mediationszeit stellt der Autor das Verhältnis der drei Staaten zur Schweiz unter dem Metternich’schen System der Heiligen Allianz dar. Dabei kommt er zum Schluss, dass sich die drei Nachbarn am Muskelspiel der konservativen Monarchien gegen die republikanische Schweiz nicht beteiligten und sich hauptsächlich, allen voran Baden, auf Nachbarschafts-, Grenz-, Rechts- und Handelsfragen konzentrierten. Im Fall Badens hatte die Schweiz insofern Glück, als das Grossherzogtum von 1807 bis 1818 durch Joseph Albrecht von Ittner, einen erklärten Freund der Schweiz, vertreten war. Ärger dagegen bereitete der bayerische Gesandte Johann Franz Anton von Olry, weniger in seiner offiziellen Funktion, sondern als Kämpfer für das vorrevolutionäre Europa und Aktivist in den restaurativen Zirkeln um seinen Freund und «Restaurator» Karl Ludwig von Haller.

Die liberalen Erfolge in der Schweiz führten nach 1830 zu einer Verhärtung der Positionen. Die monarchischen Regierungen in Karlsruhe, Stuttgart und München sahen in den liberalen und demokratischen Verfassungen der regenerierten Kantone eine Gefahr für die eigenen Staatsordnungen. Sie ordneten sich schliesslich nach einigem Zögern in die antiliberale Allianz Metternichs ein, welche die Schweiz vor allem im Bereich ihrer Asylpolitik massiv unter Druck setzte. Der Flüchtlingsfrage von 1833 bis 1838 ist denn auch ein eigenes Kapitel gewidmet. Besonders aufmerksam verfolgten die drei süddeutschen Regierungen die turbulenten innenpolitischen Kämpfe in der Eidgenossenschaft. So begrüssten zwar der bayerische und badische Vertreter in der Schweiz die konservativen Erfolge gegen die Liberalen am Ende der 1830er Jahre. Sie lehnten aber die zunehmende Konfessionalisierung des liberal-konservativen Gegensatzes entschieden ab, nicht zuletzt auch, weil in ihren Staaten ähnliche Konfessionsverhältnisse herrschten wie in der Schweiz. Die Fortsetzung der Geschichte in die 1840er Jahre bis hin zum Sonderbundskrieg verspricht – aufgrund einer vorausgreifenden Skizze des Autors – interessant zu werden, weil gerade Baden eine starke liberale Bewegung besass, die sich von ihren schweizerischen Gesinnungsgenossen inspirieren liess.

In einem eigenen ausführlichen Kapitel zeichnet der Autor die Wirtschafts-, Handels- und Verkehrsbeziehungen der drei süddeutschen Staaten zur Schweiz in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts nach. Während der ganzen untersuchten Zeit besassen Handelsfragen ein grosses Gewicht, selbst bei den beiden von der Schweiz aus entfernter gelegenen Königreichen Württemberg und Bayern, die vor allem am Salz- und Getreidehandel interessiert waren. Bereits in die Zukunft weisen in den 1840er Jahren die ersten Gespräche über den Eisenbahnbau: Während die deutschen Staaten die Frage schon früh zu planen begannen, war die mit ihren internen Kämpfen beschäftigten Schweiz im Rückstand. In einem kurzen Kapitel wird den «Rechts- und Hoheitsfragen» nachgegangen. Aufgrund der engen wirtschaftlichen und demographischen Verflechtung am Oberrhein schloss die Eidgenossenschaft ab 1803 mit den drei süddeutschen Staaten zahlreiche Staatsverträge zur Freizügigkeit, zum Konkursrecht, zum Auslieferungsverfahren, zu zivil- und strafrechtlichen Fragen. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und dem Ende des Reiches 1806 wurden die letzten Bande der Schweiz zum Hl. Römischen Reich gelöst. Erst jetzt bildete sich im Norden eine Staatsgrenze heraus. Die Säkularisation von Bistümern (vor allem Konstanz) und Klöstern warf zahlreiche Grenz- und Eigentumsfragen auf. Die Hauptfragen wurden bereits 1804 im Vertrag von Schaffhausen mit Baden gelöst. Trotzdem kam es zwischen 1815 und 1840 zu weiteren Konflikten um säkularisiertes und inkameriertes Gut. Ein über 200-seitiger Anhang bringt Dokumente (so Weisungen an und Memoranden von Diplomaten), biografische Notizen, Tabellen, Karten und Porträts der wichtigsten süddeutschen Personen.

Die Untersuchung erhellt eine wichtige Phase der schweizerischen Aussenbeziehungen, als die Eidgenossenschaft begann, trotz verfassungsrechtlichen Schwächen, die Verhältnisse mit dem Ausland, hier mit dem nahen Ausland nördlich des Rheins, zu regeln. Von daher handelt es sich bei der gedruckten Lizentiatsarbeit von Josef Inauen um ein wichtiges Werk zu Schweiz in der turbulenten Übergangszeit vom Untergang der Alten Eidgenossenschaft 1798 zur Schaffung des Bundesstaats. Der Text ist flüssig geschrieben und liest sich angenehm. Der Autor scheut sich auch nicht, dezidiert Stellung zu nehmen, so wenn er den bayerischen Gesandten von Olry einen «politischen Fanatiker» nennt. Es ist zu hoffen, dass der Autor sein Versprechen einlösen kann und in seiner nächsten Arbeit die Zeit von 1840 bis 1871 (und vielleicht auch von 1803 bis 1815) behandelt.

Zitierweise:
Marco Jorio: Rezension zu: Josef Inauen, Brennpunkt Schweiz. Die süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern und die Eidgenossenschaft 1815–1840 (=Religion-Politik-Gesellschaft in der Schweiz, Bd. 50), Fribourg, Academic Press, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 103, 2009, S. 339-341.

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